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Sanierung von nicht dauerhaft standsicheren Rohrprofilen (Teil 1 + 2)

3R - Fachzeitschrift für sichere und effiziente Rohrleitungssysteme (Ausgaben 1-2 und 3/2016)

Inhaltsverzeichnis:

Teil 1: Zustandserfassung und Sanierungsverfahren

 

Die vorwiegend unter öffentlichen Straßen verlegten großen Abwassersammler sind vielfach seit über 100 Jahren in Betrieb. Sie bestehen aus Mauerwerk oder Stampfbeton und weisen häufig derart gravierende Schäden auf, dass die dauerhafte Standsicherheit nicht mehr gewährleistet scheint. Als Alternative zu einer Erneuerung stehen auch für Großprofile verschiedene Renovierungsverfahren zur Verfügung, die deutliche Vorteile hinsichtlich der Investitionskosten, des Umweltschutzes und der urbanen Belastung bieten. Die dabei erreichte Verlängerung der Nutzungsdauer kann, je nach Verfahren, durchaus der einer Erneuerung entsprechen. Voraussetzung ist eine eingehende Untersuchung der tatsächlichen Standsicherheit bzw. Resttragfähigkeit des bestehenden Kanals und eine bedarfsgerechte Wahl und Dimensionierung des Sanierungsverfahrens. Das neue Arbeitsblatt DWA-A 143-2 stellt eine gute Grundlage für die erforderlichen statischen Berechnungen dar, die detailliert in Teil 2, 3R Ausgabe 3/2016, beschrieben werden. 

1. Besonderheiten großer Abwassersammler

1.1 Werkstoffe und Profilformen

Entsprechend den zu Beginn des letzten Jahrhunderts gültigen Anforderungen und bautechnischen Möglichkeiten wurden die Kanäle häufig gemauert, wobei gelegentlich Natursteine, vorwiegend aber künstlich hergestellte Steine (gebrannte Vollziegel/Klinker) verwendet wurden. In Abhängigkeit von den Abmessungen und den damaligen Belastungen sind die Mauerwerksschalen ein-, zwei- oder sogar dreilagig aus- geführt, wobei sich nicht selten die Wanddicke innerhalb des Querschnitts ändert. Darüber hinaus wurden aber auch schon frühzeitig Kanäle aus Stampfbeton hergestellt, dessen Festigkeit sich heute allerdings sehr unterschiedlich darstellt. Eine Bewehrung im Beton findet sich nur selten und deckt sich meist nicht mit unseren heutigen Anforderungen an einen Stahlbeton. 

Die bei kleineren Kanälen vorherrschenden Standard-Profilformen mit Kreis- oder Ei-Querschnitt weichen mit zunehmender Größe der Sammler anderen, betrieblich und statisch günstigeren Profilformen. Die meisten Großprofile können entweder als Maul- oder als Haubenprofil eingeordnet werden. Die individuellen Querschnittsformen treten dabei aber in unterschiedlichen Varianten auf, die beispiels- weise mit den Attributen breit, gedrückt, gestreckt oder überhöht näher spezifiziert werden können. Ziel der damaligen Konstrukteure und Statiker war es, die Lastabtragung über ein Druckgewölbe zu realisieren, da von den verwendeten Werkstoffen Zugspannungen nur sehr begrenzt aufgenommen werden konnten. Dieses Tragverhalten setzt eine entsprechende Auflagerung bzw. Gründung des Gewölbebogens mit ausreichen- der Tragfähigkeit und Steifigkeit des Baugrundes voraus. 

Die Sohle des Kanals ist bei vielen Querschnitten als separates Gewölbe ausgebildet, das vom Hauptgewölbe als statisch entkoppelt betrachtet werden muss und (zumindest oberhalb des Grundwasserspiegels) die globale Standsicherheit des Kanals meist nicht beeinflusst. In den Bild 2 und Bild 3 sind unterschiedliche Querschnittsformen beispielhaft dargestellt. 

1.2 Zustandserfassung

1.2.1 Grundlagen der Zustandserfassung

Die Zustandserfassung für Großprofile erfolgt grundsätzlich in enger Anlehnung an das neu erschienene Arbeitsblatt DWA-A 143-2 (Juli 2015) [2], das die statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und Montageverfahren regelt. Obwohl sich dieses Regelwerk vorwiegend auf Rohre und Kanäle mit (kleineren) Kreis- und Eiquerschnitten bezieht, wird die grundsätzliche Vorgehensweise für die Berechnung und Bemessung auch für Großprofile übernommen. Zur grundsätzlichen Einstufung der Standsicherheit des zu sanierenden Kanals (im DWA-A 143-2 als Altrohr bezeichnet) werden drei grundsätzliche „Altrohrzustände“ unter- schieden (Bild 4): 

Altrohrzustand I: Das Altrohr ist allein tragfähig. In diesem Fall hat der Liner lediglich die Dichtheit des Kanals herzustellen. Da das Altrohr alle von außen wirkenden Lasten alleine abtragen kann, wird der Liner nur durch das Grundwasser belastet, das durch die undichte Kanalwandung sickert und einen Außendruck entsprechend dem Grundwasserstand aufbaut.

Altrohrzustand II: Das Altrohr ist nicht allein tragfähig und an vier Stellen im Umfang (Scheitel, Kämpfer und Sohle) längs gerissen. Die dabei entstandenen Viertelschalen haben sich gegeneinander verdreht, wobei der Querschnitt ovalisiert. Die lichte Höhe des Querschnitts hat sich reduziert, dafür ist der Quer- schnitt aber breiter geworden und hat sich im Kämpferbereich in den Boden gedrückt. Der Boden stützt den Kanal, und es entsteht ein Tragsystem, bestehend aus dem gerissenen Altrohr und dem stützenden Boden, das sogenannte Altrohr-Bodensystem. Ist dieses Altrohr-Bodensystem statisch mit den erforderlichen Sicherheiten standsicher, befindet sich das Altrohr im Altrohrzustand II. In diesem Fall hat der Liner analog zum Altrohrzustand I nur die Dichtheit des Kanals her- zustellen. Da das Altrohr alle von außen wirkenden Lasten alleine abtragen kann, wird der Liner lediglich durch das Grundwasser belastet, das durch den undichten Kanal fließt und einen Außendruck aufbaut. Im Gegensatz zum Altrohrzustand I muss ggf. mit einem oval vorgeformten Liner gerechnet werden. 

Altrohrzustand III: Dieser Altrohrzustand entspricht dem Altrohrzustand II mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Standsicherheit des Altrohr-Bodensystems nicht mehr nachweisbar ist. In diesem Fall hat der Liner nicht nur Grundwasserlasten zu tragen, sondern muss sich zumindest teilweise an der Aufnahme aller Einwirkungen wie Erdlasten, Verkehrslasten, Auflasten beteiligen. Im Vergleich zu den Altrohrzuständen I und II sind die Einwirkungen auf den Liner im Altrohrzustand III in der Regel um ein Vielfaches größer. Im DWA-A 143-2 wurde ein weiterer Altrohrzustand kreiert, der als Altrohrzustand IIIa bezeichnet wird, aber nur in den informativen Anhang des Regelwerks aufgenommen wurde. Im Gegensatz zum bestehenden Altrohrzustand III wird dabei davon ausgegangen, dass auch die Viertelschalen zwischen den Gelenken (Rissen) des Altrohres nicht intakt bleiben und zerbrechen, so dass jegliche stützende Wirkung des Altrohres entfällt. Großprofile, die diesem Altrohrzustand IIIa zugeordnet werden müssen, sind allen- falls in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung besonderer Maßnahmen sanierbar und werden deshalb nachfolgend nicht weiter berücksichtigt.

Tabelle 1 zeigt die im DWA-A 143-2 definierten Kriterien zur Abgrenzung zwischen den Altrohrzuständen II und III. Für Großprofile können die Angaben dieser Tabelle allenfalls als erste Richtwerte herangezogen werden. Stattdessen sind genauere und insbesondere individuelle Untersuchungen des Querschnitts erforderlich und gerechtfertigt, da einerseits das Gefährdungspotential deutlich größer ist als bei kleinen Rohrleitungen und anderseits ein hohes Einsparpotential für die Ausführung der Sanierung besteht.

1.2.2 Historische Recherche, Begehung und Monitoring

 

Der erste Schritt der individuellen Zustandserfassung ist die Auswertung eventuell noch vorhandener Unterlagen zu dem zu untersuchenden Querschnitt. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass in den meisten Fällen keine Pläne mehr auffindbar sind und nicht selten selbst das Baujahr, der Werkstoff und die Querschnittsgeometrie vollkommen unbekannt sind. Somit werden die ersten Erkenntnisse erst im Rahmen einer Begehung des Sammlers über die gesamte Länge mit 

  • einer Bestimmung des Werkstoffs und
  • einer Dokumentation der statisch relevanten Schäden (Risse, Korrosion, freiliegende Bewehrung, …) gewonnen.

Danach erfolgt eine erste Einschätzung der Standsicherheit insbesondere im Hinblick auf eine eventuelle akute Einsturzgefahr, die Sofortmaßnahmen wie die Sperrung des (Schwer-)Verkehrs erfordern kann. Bild 5 zeigt exemplarisch einen statisch relevanten Längs- riss in einem Betonkanal, der keine akute Gefahr für die Standsicherheit des Kanals bedeutet. Ob die dauerhafte Standsicherheit ohne statische Ertüchtigung gegeben ist, müssen weitere Untersuchungen und insbesondere eine statische Berechnung zeigen. 

Bild 6 zeigt einen deutlich breiteren Längsriss, der bereits eine kurzfristige Standsicherheitsbeurteilung erfordert. In Bild 7 ist der Längsriss im Scheitel des Mauerwerks so stark ausgeprägt, dass eine akute Gefahr nicht auszuschließen ist. Hier sind Sofortmaßnahmen erforderlich, zumal sich die Sohle bereits geöffnet hat und der gesamte Querschnitt erheblich deformiert ist. Im Rahmen der Inaugenscheinnahme können bereits erste Untersuchungen durchgeführt (z. B. die Bestimmung des Bewehrungsgehalts mittels Profometermessungen) oder ein Monitoring mit Gips oder Rissmarken eingeleitet werden.

1.2.3 Bauwerksuntersuchungen

Aufgrund der Vielzahl der häufig auch regional unterschiedlichen Querschnittformen gehört zu einer Zustandserfassung eine Vermessung der Innenkontur, um sie im Rechenmodell mit ausreichender Genauigkeit erfassen zu können. Die Außenkontur des Kanals kann über eine Bestimmung der Wanddicken erfolgen, wenn die historischen Unterlagen keine ausreichenden Rückschlüsse zulassen. Neben der Geometrie sind für den Nachweis der Standsicherheit des Kanals die Festigkeiten der verwendeten Werkstoffe im heutigen Zustand maßgebend. Zur Bestimmung der Werkstoffkennwerte wird eine ausreichende Anzahl Bohrkerne mittels eines Kernbohrgeräts mit einem Durchmesser von 100 mm (bei Beton) oder 150 mm (bei Mauerwerk) entnommen (Bild 8). Die optische Begutachtung der Bohrkerne liefert bereits erste Erkenntnisse über die Festigkeitseigenschaften der Wandung. Im Rahmen von Laboruntersuchungen werden die Werkstoffparameter bestimmt, die als Eingangswerte für die statische Berechnung dienen. 

1.2.4 Bodenparameter

Die Standsicherheit von Großprofilen wird in einem entscheidenden Maße von den Eigenschaften des Baugrundes bestimmt. Der Boden muss insbesondere bei bereits gerissenen Kanälen nicht nur für eine sichere (vertikale) Gründung sorgen, sondern er spielt auch eine wichtige Rolle bei der seitlichen (horizontalen) Bettung des Systems. Das Tragwerk besteht nicht ausschließlich aus der Kanalwandung allein, sondern aus dem Zusammenwirken des Mauerwerks oder des Betons mit dem umgebenden Baugrund. Aus diesem Grunde ist für die statische Berechnung die Kenntnis der Bodenparameter unerlässlich. Um verlässliche Werte zu erhalten, muss ein Baugrundlabor oder zumindest ein Fachmann für Geotechnik hinzugezogen werden. Nach Feldversuchen und Bodenentnahmen werden die für die statische Berechnung relevanten Baugrundparameter in geotechnischen Laborversuchen ermittelt. Neben dem spezifischen Gewicht aller über und neben dem Kanal liegenden Bodenschichten können die beiden nachfolgenden Parameter des Bodens in Kämpferhöhe die Standsicherheit des Kanals erheblich beeinflussen:

  • Reibungswinkel j‘ zur Definition der Tragfähigkeit der seitlichen Bettung
  • Steifemodul Es zur Definition der Steifigkeit der seitlichen Bettung. 

 Eventuell anstehendes Grundwasser muss nicht nur mit seinem höchsten, sondern auch mit dem niedrigsten Stand bekannt sein, da sich in der Regel erst bei der Durchführung der Berechnung herausstellt, welche Grundwassersituation für die Bemessung eines für den Altrohrzustand III zu bemessenden Liners maßgebend ist. Die Festlegung der Grundwasserstände erfolgt durch den Baugrundsachverständigen. 

1.2.5 Ergebnisse der Zustandserfassung für die Berechnung und Bemessung des Liners

Die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellte Zustandserfassung liefert die folgenden Informationen und Eingangswerte für die statische Berechnung des Kanals:

  • Geometrie des Kanalquerschnitts » Altrohrzustand des Kanals
  • Position, Breite und Länge von statisch relevanten Rissen
  • Weitere Schäden (z. B. Wanddickenreduzierung durch Korrosion)
  • Werkstoffkennwerte der Kanalwandung
  • Baugrundkennwerte 

Damit kann ein statisches Model auf der Grundlage der Methode der Finiten Elemente gebildet werden. Als Ergebnis erhält man eine recht verlässliche Aussage über die Standsicherheit des Kanals im unsanierten Zustand. Nach einer Sensitivitätsanalyse bezüglich der einzelnen Eingangsparameter wird die Einordnung in den Altrohr- zustand II oder III vorgenommen und so die wichtigste Grundlage für die Berechnung und Bemessung des Liners geschaffen.

2. Sanierungsverfahren (Eignung für Großprofile im Zustand III)

Der Fokus wird auf Renovierungsverfahren gelegt. Unter Renovierungsverfahren versteht man die Maßnahmen zur Verbesserung der aktuellen Funktionsfähigkeit von Abwasserleitungen und -kanälen unter vollständiger oder teilweiser Einbeziehung ihrer ursprünglichen Substanz. Grundsätzlich zählen zu den Renovierungsverfahren Beschichtungs- und Auskleidungsverfahren. Für die statische Ertüchtigung großer, begehbarer Sammler kommen gegenwärtig nur

  • das Schlauchliningverfahren (bis ca. DN 2000),
  • das Einzelrohrlining,
  • das Wickelrohrverfahren mit tragender Ringraumverfüllung und
  • das Spritzbetonverfahren mit statisch wirksamer Bewehrung zur Anwendung. 

2.1 Schlauchlining-Verfahren

Das Schlauchliningverfahren stellt insgesamt gesehen (begehbarer und nichtbegehbarer Bereich) das derzeit am häufigsten angewandte Renovierungsverfahren dar. Im Bereich der Großprofilsanierung liegt allerdings die Nenn- weitenobergrenze momentan bei ca. DN 2000. Ferner ist die Anwendbarkeit in Abhängigkeit von der Profilform (ins- besondere bei Sohlgerinnen) zu prüfen. Das Grundkonzept aller Schlauchliningverfahren besteht darin, einen mit Reaktionsharz getränkten Schlauch, der für die Länge und die Innenmaße des Altrohres konfektioniert wird, durch die Einsteigschächte (ggf. bei abgenommenen Konus) in den Kanal einzuziehen oder einzukrempeln. 

Im Kanal wird der Schlauch durch Luft- oder Wasserdruck an die Rohrwandung gepresst und je nach Verfahren zu einem Liner mit definierter Steifigkeit und Festigkeit ausgehärtet. Die Anforderungen an einen renovierten Kanal entsprechen denjenigen, die auch an einen neuen Kanal gestellt werden. Der sanierte Kanal muss dicht und betriebssicher sein, eine ausreichende hydraulische Leistungsfähigkeit besitzen, gegen Abrieb und Hochdruckreinigung resistent sein sowie die statischen Einwirkungen dauerhaft aufnehmen können. Die Unterschiede der einzelnen Schlauchliningverfahren liegen im Wesentlichen in den zum Einsatz kommenden Materialien (Trägermaterial GFK oder Synthesefaser, Harze), dem Einbau (Verfahren der Schlauchinstallation) und dem Aushärtungsverfahren (Warmwasser, Licht, Kalthärtung). 

2.2 Einzelrohrlining (Kurzrohrlining)

Beim Einzelrohrlining werden werkseitig hergestellte Rohre über Baugruben in den zu sanierenden Streckenabschnitt eingebracht. Die Verbindung der einzelnen Rohre untereinander erfolgt bei der Großprofilsanierung i.d.R. in der Haltung. Der entstandene Ringraum wird anschließend verfüllt. Das Verfahren kann bei allen Altrohrzuständen sowie bei den meisten Querschnittsformen (auch z. B. Maulprofil mit Sohlgerinne) eingesetzt werden. Einschränkungen hin- sichtlich der Anwendbarkeit ergeben sich u. U. bei sehr weichen Böden in der Bettungszone sowie bei sehr großen Sammlern (Transportproblem der vorgefertigten Rohre). Der Kanal und die Bettung müssen mindestens vorübergehend ausreichend standsicher sein (Arbeiten im Kanal). 

Die zu sanierende Haltung muss frei von Abflusshindernissen sein und für die Dauer der Arbeiten außer Betrieb gesetzt werden. Bei starker Grundwasserinfiltration ist eine Vorabdichtung erforderlich. Das Verfahren ist an keine speziellen Rohrwerkstoffe gebunden. Es werden meist Rohre aus GFK verwendet, da sie weitestgehend an die unterschiedlichen Querschnittsformen anpassbar sind. Die Rohrverbindungen werden mit Muffen oder Überschiebkupplungen, als Klebeverbindungen oder auch als Überlaminatverbindungen (ggf. Kombinationen) realisiert. Die Rohre werden in die zu sanierende Haltung über spezielle Transportgeräte, sogenannte Trolleys, auf die die Rohre aufgelegt werden, eingefahren. Danach werden die Rohre mit Abstandshaltern fixiert und gegen die während der Ringraumverfüllung wirkenden Kräfte (insbesondere Auf- trieb) gesichert. Die Ausführung dieser Arbeiten erfolgt von Hand z. B. durch Hinterstopfen mit schnellbindenden Mörteln oder Weichholzkeilen, durch spezielle Auflagersättel oder Abstandhalter. Die Ringraumverfüllung soll u. a. folgendes erreichen: 

  • Lagesicherung des Liningrohres
  • Schaffung einer definierten Bettung des Liningrohres
  • Vermeidung von Wassertransport durch den Ringraum
  • Vermeidung von Bodeneintrag durch Fehlstellen im
  • Altrohr
  • Vermeidung von Gasansammlungen im Ringraum
  • Gleichmäßige Übertragung äußerer Lasten.

Weitere mit der Ringraumverfüllung verbundene Vorteile sind: 

  • Verhinderung des Einsturzes des defekten Kanals
  • Auftriebssicherung der Rohrleitung
  • Kompensierung unterschiedlicher temperaturbedingter Längenänderungen
  • Verfüllung vorhandener Hohlräume auch außerhalb des Kanales.

Die Verfüllung des Ringraumes kann auf zwei Arten durchgeführt werden:

  • Druckloses Verfüllen unter Ausnutzung des natürlichen Gefälles der Kanalhaltung (Verfüllung vom Hochpunkt)
  • Verfüllen unter Druck (Verfüllung vom Tiefpunkt).

Im Rahmen der Großprofilsanierung erfolgt die Ringraumverfüllung in aller Regel mehrlagig. Die Abschlussarbeiten umfassen neben den abschließenden Prüfungen:

  • Schachtanbindung
  • Anpassung des Inliners an das Schachtgerinne
  • Wiederherstellung der Einbindung von Anschlusskanälen und Hausanschlüssen

Das SPR-Wickelrohrprofil wird durch einen Standardschacht zur Wickelmaschine geführt. Die zerlegbare Wickelmaschine, die ebenfalls über einen Schacht ein- gebaut wird, formt das SPR-Profil zu einem Kunststoffliningrohr, das zum einen als Schalung während der Installation, und zum anderen später als innerer Schutz für das mineralische Rohr dient. Während des Wickelvorgangs wird mithilfe von mineralischen Abstandhaltern die erforderliche Wanddicke des späteren ‚Rohr im Rohr‘ gewährleistet. Damit das SPR-Liningrohr während der Ringraumverfüllung den Außendruck des Verfüllwerkstoffs aufnehmen kann, werden bei größeren Querschnitten verstellbare und verspannbare Stützrahmen als Aussteifungssystem installiert. Der definierte Ringraum zwischen SPR-Liner und Altrohr wird mithilfe eines hochfließfähigen und hochfesten Verfüllwerkstoffs verfüllt. Durch die Verfüllung entsteht ein mineralisches ‚Rohr im Rohr‘, das eine hohe Steifigkeit hat und allein für die Lastabtragung herangezogen wird. Das PVC-U-Liningrohr trägt nicht mit, schützt aber das tragende Rohr gegen chemischen und mechanischen Angriff von innen. 

2.3 Wickelrohrverfahren mit tragender Ringraumverfüllung

Der einzige Vertreter des Wickelrohrverfahrens mit tragender Ringraumverfüllung ist das aus Japan stammende ‚Sewage Pipe Renewal‘-Verfahren oder SPR-Verfahren. Es ist charakterisiert durch das Wickeln eines Liningrohres aus PVC-Stegprofilen mit Stahlverstärkung innerhalb der Sanierungsstrecke. Das PVC-Stegprofil wird von einer Rolle abgewickelt und über einen Einstiegschacht einer selbstfahrenden Wickelmaschine zugeführt, die sich entlang eines der Kontur des auszukleiden- den Kanals angepassten, geschlossenen Rahmens bewegt. Das SPR-Verfahren ist einsetzbar für die Sanierung von Freispiegelleitungen in den Nennweiten DN 800 bis DN 5500. Der Liner kann sich vielen Altrohrquerschnitten, wie z. B. Eiprofilformen, Rechteckformen oder Maulprofilen, anpassen. Es können auch gebogene Haltungen saniert werden, deren Kurvenradius der fünffachen Nenn- weite entspricht. Sanierung ist auch bei kontrolliertem Trockenwetterfluss möglich. Hausanschlussleitungen können komplett im Betrieb bleiben. Das Verfahren benötigt wenig Platz auf der Baustelle. 

Das SPR-Wickelrohrprofil wird durch einen Standardschacht zur Wickelmaschine geführt. Die zerlegbare Wickelmaschine, die ebenfalls über einen Schacht ein- gebaut wird, formt das SPR-Profil zu einem Kunststoffliningrohr, das zum einen als Schalung während der Installation, und zum anderen später als innerer Schutz für das mineralische Rohr dient. Während des Wickelvorgangs wird mithilfe von mineralischen Abstandhaltern die erforderliche Wanddicke des späteren ‚Rohr im Rohr‘ gewährleistet. Damit das SPR-Liningrohr während der Ringraumverfüllung den Außendruck des Verfüllwerkstoffs aufnehmen kann, werden bei größeren Querschnitten verstellbare und verspannbare Stützrahmen als Aussteifungssystem installiert. Der definierte Ringraum zwischen SPR-Liner und Altrohr wird mithilfe eines hochfließfähigen und hochfesten Verfüllwerkstoffs verfüllt. Durch die Verfüllung entsteht ein mineralisches ‚Rohr im Rohr‘, das eine hohe Steifigkeit hat und allein für die Lastabtragung herangezogen wird. Das PVC-U-Liningrohr trägt nicht mit, schützt aber das tragende Rohr gegen chemischen und mechanischen Angriff von innen. 

2.4 Spritzbeton mit statisch wirksamer Bewehrung

Nach DIN 18551 ist Spritzbeton ein „Beton, der in einer geschlossenen, überdruckfesten Schlauch- oder Rohrleitung zur Einbaustelle gefördert und dort durch Spritzen aufgetragen und dabei verdichtet wird“. Spritzbeton unterscheidet sich in der Zusammensetzung prinzipiell nicht vom üblichen Ortbeton. Der Unterschied liegt im Fördern, Einbringen und Verdichten, d. h. in der Verarbeitung, die in einem einzigen Arbeitsgang, dem Spritzen, zusammengefasst ist. Schalung und Rüttler entfallen. Spritzbeton mit einer Dicke größer 5 cm, die i.d.R. bei der Sanierung von Großprofilen gegeben ist, muss bewehrt werden. Die Bewehrung kann ein- oder zweilagig verlegt werden. Bei zweilagiger Bewehrung ist der Spritzvorgang zuerst bis zur ersten Bewehrungslage und danach bis über die zweite Bewehrungslage auszuführen. Die Bewehrung wird durch Anker mit dem Altkanal verbunden. Die beim Spritzvorgang freiwerdende hohe Anwurfenergie bewirkt neben der Verdichtung auch einen guten Haftverbund zum Untergrund. 

In Abhängigkeit von der Art der Ausgangsmischung unterscheidet man generell zwischen Trockenspritzverfahren und Nassspritzverfahren. Beim Trockenspritzverfahren wird das Bereitstellungsgemisch, bestehend aus Zement, Zuschlag und ggf. pulverförmigen Zusätzen, trocken der Förderleitung zugeführt und im Dünnstrom pneumatisch zur Spritzdüse gefördert, wo das Zugabewasser, ggf. mit flüssigen Betonzusatzmitteln, beigemengt wird. Beim Nassspritzverfahren wird das Bereitstellungsgemisch, bestehend aus Zement, Zuschlag, Zugabewasser und ggf. Zusätzen, in nasser Form der Förderleitung zugeführt und entweder im Dünnstrom oder im Dichtstrom gefördert. 

In der Praxis überwiegt das Trockenspritzverfahren, da es hinsichtlich der Vorhaltung der Ausgangsmischung und bei Arbeitsunterbrechungen unproblematischer ist. Beim Verlassen der Spritzdüse verfügt das Gemisch über eine hohe kinetische Energie, die beim Aufprall auf den Untergrund die Verdichtung des Spritzbetons oder des Spritzmörtels bewirkt. Aufgrund dieser hohen Energie, mit der das Gemisch auf den Untergrund auf- trifft, prallt ein Teil wieder zurück. Dieser sogenannte Rückprall besteht überwiegend aus grobem Zuschlag, der mit Zementleim bzw. -mörtel umhüllt ist, so dass die Zusammensetzung des aufgespritzten Betons von jener des Bereitstellungsgemisches abweicht. Der Zementgehalt dieser Mischung ist deshalb so festzulegen, dass der Festbeton die geforderten Eigenschaften erreicht. Zu Beginn des Spritzens fällt eine größere Rückprallmenge an, da zunächst auf dem Untergrund ein plastisches Polster zur Aufnahme der gröberen Zuschläge entstehen muss. Die Rückprallmenge ist von zahlreichen Einflussparametern abhängig, wie z. B.  

  • Zusammensetzung des Bereitstellungsgemisches,
  • Spritzverfahren,
  • Örtliche Verhältnisse an der Auftragsfläche,
  • Düsenführung,
  • Spritzrichtung,
  • Spritzwinkel,
  • Düsenabstand,
  • Arbeitsdruck,
  • Fördertechnik oder
  • Auftreffgeschwindigkeit

und beträgt ca. 20 bis 30 %. Bei optimaler Einstellung aller Einflussparameter kann der Rückprallanteil beim Trockenspritzverfahren auf ca. 15 bis 20 % beim Spritzen auf eine senkrechte Auftragsfläche reduziert werden. Der Rückprallanteil beim Nassspritzverfahren im Dünnstrom liegt bei ca. 12 bis 14 % und beim Nass- spritzen im Dichtstrom bei ca. 6 bis 7 %. Es ist somit bei Betrachtung ausschließlich verfahrenstechnischer Parameter das wirtschaftlich günstigste Verfahren. Im 2. Teil dieses Fachbeitrags (3R-Ausgabe 3-2016) werden Verfahren zur statischen Berechnung und Bemessung der Sanierungsverfahren vorgestellt. 

Literaturverzeichnis:

[1] Stein, D.; Stein, R.: Instandhaltung von Kanalisationen, 4. Auflage, Band 1, Prof. Dr.-Ing. Stein&Partner GmbH, Bochum 2014 

[2] DWA-Arbeitsblatt A 143-2 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden, Teil 2: Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und Montageverfahren“ (2015-07)

[3] ATV-M 127-2 „Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserkanälen und -leitungen mit Lining- und Montageverfahren“ (2000-01)

[4] DWA-Merkblatt M 144-3 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen (ZTV) für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden; Teil 3: Renovierung mit Schlauchliningverfahren (vor Ort härtendes Schlauchlining) für Abwasserkanäle“ (2012-11) 

[5] Doll, H.: Der Schlauchliner als statisch tragendes Element im Altrohr, bi-Umwelt, Sonderausgabe März 2014 [6] Beckmann, D.; Kohler, J.: Altrohrzustand III und Grundwasser: Nachweiskonzept für Liner in nicht dauerhaft standsicheren Kanälen, 3R 11-12/2013 

 

Teil 2: Auswirkungen des DWA-A 143-2 auf Linerdimensionierung

 

Die vorwiegend unter öffentlichen Straßen verlegten großen Abwassersammler sind vielfach seit über 100 Jahren in Betrieb. Sie bestehen aus Mauerwerk oder Stampfbeton und weisen häufig derart gravierende Schäden auf, dass die dauerhafte Standsicherheit nicht mehr gewährleistet scheint. Als Alternative zu einer Erneuerung stehen auch für Großprofile verschiedene Renovierungsverfahren zur Verfügung, die deutliche Vorteile hinsichtlich der Investitionskosten, des Umweltschutzes und der urbanen Belastung bieten. Die dabei erreichte Verlängerung der Nutzungsdauer kann, je nach Verfahren, durchaus der einer Erneuerung entsprechen. Voraussetzung ist eine eingehende Untersuchung der tatsächlichen Standsicherheit bzw. Resttragfähigkeit des bestehenden Kanals und eine bedarfsgerechte Wahl und Dimensionierung des Sanierungsverfahrens. Teil 1 dieses Fachberichts (3R-Ausgabe 1-2/2016) widmete sich der Zustandserfassung und den Sanierungsverfahren. Teil 2 geht im Folgenden detailliert auf das neue Arbeitsblatt DWA-A 143-2 ein, das eine gute Grundlage für die erforderlichen statischen Berechnungen darstellt.  

Statische Dimensionierung von Sanierungssystemen

Art und Umfang der statischen Dimensionierung von Sanierungssystemen, die zur Ertüchtigung der hier betrachteten begehbaren Sammler eingesetzt werden sollen, sind maßgeblich vom Altrohrzustand, also der Resttragfähigkeit des Bestandes abhängig. Seit Juli 2015 bildet das DWA-A 143-2 als Nachfolgenorm des ATV-M 127-2 eine wesentliche Grundlage für die statische Nachweisführung von Lining- und Montageverfahren. Nachfolgend werden die im DWA-A 143-2 vorgenommenen Änderungen bzw. Ergänzungen, soweit sie das Sicherheitskonzept und die anzusetzenden Imperfektionen betreffen, im Vergleich zum ATV-M 127-2 dargestellt. Schließlich werden an Beispielen Hinweise zur statischen Modellbildung gegeben sowie die Auswirkungen der normativen Neuregelungen aufgezeigt. 

Anwendung des Teilsicherheitskonzeptes

Eine der wesentlichsten Neuerungen des DWA-A 143-2 im Vergleich zum ATV-M 127-2 besteht in dem Übergang vom globalen Sicherheitskonzept zum Teilsicherheitskonzept. Bisher erfolgte der statische Nachweis unter Verwendung charakteristischer Materialkennwerte (Festigkeiten σBr,k und E-Moduli Ek, z. B. definiert in DIBt-Zulassung). Der Index „k“ beschreibt charakteristische Werkstoffgrößen. Die unter Einwirkung der Gebrauchslast berechneten Spannungen (σk) mussten einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur Materialfestigkeit (z. B. bei Altrohrzustand II: erf.ϒ = 2,0, bei Altrohrzustand III: erf.ϒ = 1,5) aufweisen. Ferner mussten Verformungs- und Stabilitätsnachweis erfüllt sein. Tabelle 1aund 1b beinhaltet die im DWA-A 143-2 getrennt für Einwirkungen (Lasten) und Widerstände (Werk- stoffkennwerte) angegebenen Teilsicherheitsbeiwerte gF und gM sowie Tabelle 1c die bei der Berücksichtigung von Lastkombinationen (Interaktionsnachweise) ansetzbaren Kombinationsbeiwerte ψ. 

Im Rahmen der statischen Berechnung gemäß DWA-A 143-2 erfolgt eine geometrisch nichtlineare Berechnung der Problemstellung mit iterativer Laststeigerung bis zur gF-fachen Gebrauchslast, wobei die um die Teilsicherheit gM abgeminderten Materialkennwerte (Ed = Ek/gM, σBr,d = σBr,k/gM) in Ansatz zu bringen sind. Der Index „d“ beschreibt Bemessungswerte des Werkstoffs. Die unter ϒF-facher Belastung ermittelten Spannungen σd werden also mit den um gM abgeminderten Festigkeiten σBr,d verglichen. Es werden somit Auslastungen (im Spannungsnachweis σdBr,d) ermittelt, die maximal einen Wert von 1,0 annehmen dürfen (100 % Auslastung). 

Da der Spannungsnachweis nichtlinear unter ϒF-facher Belastung (Einwirkung) geführt wird, ist der Stabilitätsnachweis in ihm enthalten. Der Verformungsnachweis wird nach wie vor unter Ansatz charakteristischer Materialkennwerte (Ek) bei Gebrauchslasteinwirkung geführt. Einige Konsequenzen, die sich aus den in Tabelle 1 aufgeführten Teilsicherheitsbeiwerten sowie aus der Anwendung des Teilsicherheitskonzeptes ergeben, werden nachfolgend aufgezeigt:

Betrachtet man als Näherung für die globale Sicherheit ϒ das Produkt der Teilsicherheiten ϒF · ϒM, so ergibt sich für Sanierungsverfahren, die im Bereich der Großprofilsanierung zur Anwendung kommen, der in Tabelle 2 aufgeführte Vergleich der Sicherheiten. Es wird deutlich, dass beide Regelwerke DWA-A 143-2 und ATV-M 127-2 für die Schlauchlinersanierung im Altrohrzustand II ein quasi identisches Sicherheitsniveau fordern (2,0 ≈ 2,025). Dies ist deswegen von besonderer Bedeutung, da somit die Bemessungstabellen des DWA-M 144-3 trotz des Wechsels der Bemessungsgrundlage ihre Gültigkeit behalten. Es wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass zudem im Rahmen der statischen Prüfung der Bemessungstabellen Vergleichsberechnungen basierend auf dem Entwurf des DWA-A 143-2 durchgeführt wurden. 

Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Tabellen ist selbstverständlich nach wie vor die Einhaltung der voraus- gesetzten Materialkennwerte und Imperfektionsansätzen. Der Vergleich der in Tabelle 2 aufgeführten Sicherheitsniveaus der beiden Regelwerke zeigt ferner, dass sich für verdämmte GFK-Rohre, bedingt durch den Teilsicherheitsbeiwert ϒM = 1,25 bei Altrohrzustand II, ein Absinken der Sicherheit auf erf.ϒ ≈ 1,88 (bisher erf.ϒ = 2,0) ergibt. Sofern Altrohrzustand III, also Erd- und Straßenverkehrslasten, zu berücksichtigen ist, hat das DWA-A 143-2 in allen betrachteten Fällen eine Anhebung der geforderten Sicherheit gegenüber dem ATV-M 127-2 zur Folge. 

Im Zusammenhang mit schwankenden Grundwasserständen trat in der Vergangenheit gelegentlich die Frage auf, wie mit dem Lastfall der Hochwassereinwirkung umzugehen ist. Die Auslegung eines Kunststoffliners unter Ansatz der Langzeitmaterialkennwerte sowie einer erforderlichen globalen Sicherheit von ϒ = 2,0 (ARZ II) erschien zu konservativ bzw. auch zu unwirtschaftlich. Das DWA-A 143-2 bietet mit der Angabe eines Teilsicherheitsbeiwertes von ϒF = 1,1 eine Möglichkeit der Nachweisführung. Voraussetzung für den Ansatz dieses Beiwertes ist die Berücksichtigung von langzeitigen Materialkennwerten (E-Modul und Festigkeiten) in der statischen Berechnung. Mit der bereits erwähnten Näherung (ϒ ≈ ϒF · ϒM) ergibt sich somit eine Sicherheit von ca. ϒF · ϒM = 1,1 · 1,25 = 1,375 (<1,5 · 1,25 = 1,88). 

Der kurzzeitige Charakter des Hochwasserereignisses wird also durch Reduzierung des Sicherheitsniveaus gegenüber dem Fall einer langzeitigen Wasseraußendruckbeanspruchung berücksichtigt. Diese Vorgehensweise ist somit nur bei Werkstoffen, die ein von der Belastungszeit abhängiges Last-Verformungsverhalten aufweisen, also bei Kunststoffen, zulässig. Andernfalls (z. B. Mörtelliner, Spritzbetoninnenschale usw.) ist analog zum Fall der langzeitigen Wasseraußendruckbelastung mit ϒF  = 1,5 zu rechnen. Es wird darauf hingewiesen, dass für Kunststoffsysteme nach wie vor die Möglichkeit besteht, die statische Berechnung unter Ansatz der für die Belastungszeit des Hochwasserereignisses gültigen Materialkennwerte zu entnehmen, z. B. aus dem Zeitstandversuch in Kombination mit einem Teilsicherheitsbeiwert ϒF = 1,5 durchzuführen. Für beide Nachweismöglichkeiten sollte die zu erwartende Einwirkungsdauer beim Bauherrn bzw. dessen Vertretern angefragt werden. Die zweite oben aufgezeigte Nachweismöglichkeit kann durchaus z. B. bei längeren Einwirkungszeiten oder aber auch bei Kunststoffen, die eine relativ schnelle Abminderung der Materialkennwerte zeigen (z. B. PE-HD, ggf. ein Ausnahmefall), maßgebend werden.

Neu im DWA-A 143-2 ist schließlich die Erfassung von Zwangsbeanspruchungen (ϒF = 1,1) von Sanierungssystemen. Sie können z. B. infolge Temperatureinwirkung, aber auch bei Altrohrzustand III durch Erd- und Verkehrslasten, hervorgerufen werden. Im letztgenannten Fall wird der Querschnitt des erdgebetteten Systems eines gelenkigen Altrohres (bedingt durch Längsrissbildung, oder bedingt durch fehlende Zugspannungsübertragung z. B. bei Mauerwerk) durch Erd- und Verkehrslasten deformiert. Diese Deformation wirkt als Zwangsverformung auf den Liner ein. Ob die Lasteinwirkung oder die Zwangseinwirkung dominierend ist, hängt von der aussteifenden Wirkung des Liners ab [5]. Da sich die Frage nicht von vornherein beantworten lässt, sind im Rahmen der statischen Nachweisführung beide Fälle unter Ansatz der unterschiedlichen Teilsicherheitsbeiwerte zu berücksichtigen. Neben dem statischen Nachweis einzelner Einwirkungen ist die Zulässigkeit von Einwirkungskombinationen nachzuweisen, wobei die in Tabelle 1c aufgeführten Kombinationsbeiwerte ψ angesetzt werden dürfen. Der am häufigsten erforderliche Interaktionsnachweis betrifft die Berücksichtigung der gleichzeitigen Einwirkung von Erd- und Verkehrslast (qV) und Wasseraußendruck (pa). Er kann durch Anwendung der Gleichungen (1) bis (3) geführt werden. 

Die Gleichungen liegen in ähnlicher Form auch bereits in dem ATV-M 127-2 vor und wurden in DWA-A 143-2 lediglich auf Designwerte (Index „d“ in Gleichung 1 bis 3) umgestellt. Im Rahmen der Berechnung darf die Erdlastkomponente der Vertikallast unter Berücksichtigung der Auftriebswirkung ermittelt werden, ferner darf im Rahmen der Berechnung von krit.pa ein Ringspaltansatz vernachlässigt werden. Als Neuerung ergibt sich durch das DWA-A 143-2 die Möglichkeit eine Berechnung am Gesamtsystem unter Berücksichtigung aller Einwirkungen durchzuführen. Aus den vorstehenden Ausführungen zum Teilsicherheitskonzept des DWA-A 143-2 wird deutlich, dass sich insbesondere bei ARZ III zahlreiche Kombinationen von Lastfällen in Verbindung mit unterschiedlichen anzusetzenden Beiwertkombinationen ϒFM/ψ ergeben, die statisch zu untersuchen sind [6]. Dadurch resultieren mehr Rechengänge als nach dem ATV-M 127-2, aus deren Ergebnissen die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Liner interpretiert werden muss. 

Statische Modellbildung, Imperfektionsansätze, Nachweise

In der Folge werden allein grabenlose Verfahren betrachtet, die zur statischen Ertüchtigung großer Sammler eingesetzt werden. Für die statische Nachweisführung derartiger Sanierungssysteme bietet sich die Anwendung der Methode der finiten Elemente (FEM) an,

  • da es sich bei bestehenden Sammlern häufig um Sonderprofile (s. o.) handelt und mit Hilfe der FEM beliebige Querschnitte in der statischen Modellbildung berücksichtigt werden können,
  • da ein für die Bestandsbewertung (Altrohrklassifikation) erstelltes Modell weiterhin verwendet werden kann, indem es um die Komponente des Sanierungssystems erweitert wird,
  • da in dieser Weise relativ unproblematisch unterschiedliche Sanierungsvarianten statisch untersucht und ihr zu erwartender Erfolg bewertet werden kann,
  • da relativ leicht Bodenschichtungen, die bei Großprofilen durchaus auch im Bereich der Sammlerhöhe wechseln können, berücksichtigt werden
    können und
  • da schließlich alle Lasten in einer Berechnung berücksichtigt werden können, was Vorteile bei der Führung des Interaktionsnachweises (s.o.) bietet.

Die Grundlagen der statischen Modellbildung haben sich letztlich mit dem Erscheinen des DWA-A 143-2 nicht geändert. Das anzusetzende statische Modell ist im Wesentlichen vom Altrohrzustand I, II, III oder IIIa des bestehenden Sammlers sowie von der Lasteinwirkung abhängig. Bei Altrohrzustand II wird der Liner primär durch die Einwirkung eines Wasseraußendruckes beansprucht. Gemäß DWA-A 143-2 und ATV-M 127-2 erfolgt die statische Berechnung mit Hilfe des Systems eines quasi starr im Altrohr gebetteten Linerquerschnitts. Während die zur Verfügung stehende Standardsoftware primär die Berechnung von Kreis- und Regeleiprofilen ermöglicht, können durch Anwendung der FEM unterschiedlichste Querschnittsformen (z. B. Maulprofile, Profile mit Gerin- ne usw.) in der statischen Modellbildung berücksichtigt werden. Der Liner kann mit Hilfe unterschiedlichster Elementtypen (Balken-, Scheiben-, Schalen- oder Volumenelementen) abgebildet werden. 

Die Bettung des Liners im Altrohr-Boden-System wird z. B. durch die Lagerung mittels über die Lineraußenwandung verteilten Druck- federn bzw. durch die Definition einer entsprechenden Kontaktbedingung simuliert. Neben der Linerdicke stellt der E-Modul die wesentliche Steifigkeitseigenschaft des Liners dar. Gemäß DWA-A 143-2 ist der Designwert Ed anzusetzen. Der Wasseraußendruck wird als Linien- oder Flächenlast auf die Lineraußenwandung aufgebracht und im Rahmen einer geometrisch nichtlinearen Berechnung iterativ bis zur ϒF-fachen Gebrauchslast gesteigert. Span- nungs- und Stabilitätsnachweis sind unter Berücksichtigung der Designwerte zu führen, ferner ist die Einhaltung der zulässigen Linerdeformationen unter Berücksichtigung der charakteristischen Kennwerte nachzuweisen. 

Da es sich um ein Stabilitätsproblem handelt, sind in der geometrischen Modellbildung des Liners Imperfektionen (Spaltbildung, lokale Vorverformung und Gelenkringvorverformung) zu berücksichtigen. Es ist als sehr positiv anzusehen, dass in DWA-A 143-2 eine deutliche Erweiterung der Hinweise zu den Imperfektionsansätzen erfolgte. Insbesondere wird auf weitere Verfahren (Einzelrohrlining, Wickelrohrlining, Noppenschlauchverfahren) sowie, neben Kreis- und Regeleiprofil, auf weitere Querschnittsformen eingegangen. Gerade große Sammler weisen häufig besondere Profilformen auf. Gemäß DWA-A 143-2 ist in diesen Fällen bei Wickelrohr- und Noppenschlauchverfahren eine Gelenkringvorverformung wGr,v des Scheitels nach innen zu berücksichtigen. Bei verdämmten Verfahren entfällt der Ansatz von wGr,v. Die lokale Imperfektion ist am Ort des zu erwartenden Beulversagens anzusetzen. Hinweise auf den maßgebenden Beulbereich können bekannte Schadensbilder oder Versuchsergebnisse liefern (z. B. bei Kreisprofilen im Sohlbereich, bei Eiprofilen im Kämpferbereich). Tabelle 3 aus DWA-A 143-2 gibt Hinweise zur anzusetzenden lokalen Vorverformung bei besonderen Querschnittsformen (betrifft insbesondere die Großprofilsanierung). 

Bild 1 zeigt exemplarisch einen ausschließlich unter Wasseraußendruck verformten Liner in einem maulförmigen Altrohr (überhöhte Darstellung). Die recht flach gewölbte Sohle neigt zum Durchschlagen und aktiviert in den Ecken hohe Stützkräfte. Entsprechend großen Einfluss auf die Standsicherheit hat der Spalt zwischen Altrohr und Liner sowie eine ungünstige örtliche Vorverformung der Sohle. Wegen der hohen Sensibilität bezüglich der entsprechenden Imperfektionen „örtliche Vorverformung“ und „Spalt“ müssen die Ansätze in der Statik sorgfältig bestimmt und auf der sicheren Seite implementiert werden. Sofern Altrohrzustand III vorliegt, erfolgt in der statischen Modellbildung die Berücksichtigung von Liner, Altrohrquer- schnitt und umgebendem Baugrund. Unter Verwendung der FEM können die genannten Komponenten mit ihrer tatsächlichen Geometrie (Rohrquerschnitte) bzw. Schichtung (Boden) berücksichtigt werden. Die Diskretisierung erfolgt meist als ebenes FE-Modell bzw. als dreidimensionale Schale mit Hilfe von Schalen- bzw. Volumenelementen. In den Übergängen zwischen Liner und Altrohr bzw. zwischen Altrohr und Baugrund sind Kontaktbedingungen (reine Druckspannungsübertragung) zu berücksichtigen. Der Altrohrquerschnitt wird als Gelenkkette abgebildet. Während bei Kreisprofilen im ARZ III vier überlastungsbedingte Längsrisse (Gelenke) in Scheitel, Sohle und Kämpfern zu berücksichtigen sind, sind die Orte der Längsrissbildung bei Sonderprofilen nicht unbedingt von vornherein bekannt. Hier ist ggf. zunächst eine Berechnung als biegesteifer Altrohrquerschnitt durchzuführen. Der Gelenkansatz erfolgt schließlich in den Punkten, in denen sich die maximalen Zugspannungen ergeben. 

Bild 2 zeigt die Modellbildung eines maulförmigen GFK-Rohres im Altrohrzustand III. Als Verkehrslast wurde wegen der geringen Überdeckungs- höhe eine Radlast angesetzt. Eigengewichtslasten werden berücksichtigt, indem den Elementen die materialspezifische Wichte zugewiesen wird, Verkehrslasten Flächenlasten auf der Modelloberfläche. Die geometrisch nichtlineare Berechnung erfolgt unter Verwendung der Designwerte sowie der ϒF-fachen Lasten. Spannungs-, Stabilitäts- und Verformungsnachweis sind zu führen. Bild 3 zeigt exemplarisch, den Verlauf der maximalen Hauptspannungen unter Einwirkung der Erd- und Verkehrslasten. Es wurde eine Hälfte des Modells gerechnet und dargestellt, da die Problemstellung symmetrisch ist. Bild 4 zeigt den Verlauf der maximalen Hauptspannungen eines GFK-Maulprofils in Bauzustand. Die lokalen Spannungsspitzen ergeben sich durch Verkeilungen an den Auflagerpunkten, die eine Fläche von ca. 10 x 10 cm aufweisen. Um einen besseren Eindruck zu gewinnen, ist das verformte Modell mit einer überhöhten Verformung dargestellt.

Schlussfolgerungen

Für die Aufstellung der statischen Berechnungen im Rahmen der Sanierung von Großprofilen bildet das im Juli 2015 erschienene Arbeitsblatt DWA-A 143-2 eine gute Grundlage. Die großen Abmessungen und die damit verbundenen relativ hohen Kosten für die Ausführung der Sanierung rechtfertigen aber eine genauere und damit aufwändigere statische Beurteilung und Berechnung, da einerseits ein hohes Gefährdungspotential auch für den öffentlichen Straßenraum besteht und sich andererseits ein großes Einsparungspotential eröffnet. Deshalb sollte bereits die Bestimmung des „Altrohrzustandes“ nicht über eine alleinige Inaugenscheinnahme, sondern über eine erweiterte Zustandserfassung des Kanals durch- geführt werden, die idealerweise die folgenden Untersuchungen umfasst: 

  • Sichtung von Bestandsplänen und ggf. historischen Unterlagen  

  • Begehung des Kanals und Dokumentation der statisch relevanten Schäden (Risse, Korrosion) 

  • Einschätzung der aktuellen Standsicherheit bzw. der akuten Einsturzgefahr  

  • Anlage von Monitoringfeldern mit Gips- und Rissmarken  

  • Ermittlung der Geometrie der Innen- und Außenkontur der Kanalwandung (Vermessung, Wanddickenermittlung)  

  • Beprobung der Kanalwandung (Profometermessungen, Bohrkernentnahmen, ggf. Entnahme von Bewehrungsstäben)  

  • Laborprüfungen zur Ermittlung der statisch relevanten Werkstoffkennwerte  

  • Baugrunduntersuchungen im und neben dem ehemaligen Graben  

  • Laboruntersuchungen zur Ermittlung der statisch relevanten Bodenparameter 

Mit den Ergebnissen der erweiterten Zustandserfassung erfolgen zunächst die Bestimmung des Altrohrzustandes nach DWA-A 143-2 und die Wahl des Renovierungsverfahrens. Die anschließenden statischen Berechnungen sowohl für den Istzustand als auch für die Bemessung des Liners können in der Regel nicht mehr mit dem Formelwerk des DWA-A 143-2 durchgeführt werden, da die Anwendungs- grenzen in vielerlei Hinsicht überschritten sind. Stattdessen muss im vollen Einklang mit dem Regelwerk eine statische Analyse mit der Methode der Finiten Elemente vorgenommen werden, die vom Statiker neben der genauen Kenntnis der Sanierungsverfahren insbesondere vertiefte Kenntnisse in den numerischen Methoden der Mechanik verlangt. Die entsprechend aufgestellte Statik liefert eine optimale Dimensionierung des Sanierungsverfahrens (des Liners) inkl. aller erforderlichen Nachweise bezüglich der dauerhaften Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit des Kanals. Damit ist sichergestellt, dass auch große Sammler möglichst kostengünstig saniert werden können und dennoch über den gesamten vorgesehenen Zeitraum ohne Gefährdung des Oberflächenverkehrs funktionsfähig bleiben.

 

Literaturverzeichnis:

[1] Stein, Dietrich; Stein, Robert: Instandhaltung von Kanalisationen, 4. Auflage, Band 1, Prof. Dr.-Ing. Stein&Partner GmbH, Bochum 2014 

[2] Arbeitsblatt DWA-A 143-2 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 2: Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und Montageverfahren“, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., 2015-07 

[3] ATV-M 127-2 „Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserkanälen und -leitungen mit Lining- und Montageverfahren“, 2000-01 

[4] DWA-M 144-3 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen (ZTV) für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 3: Renovierung mit Schlauchliningverfahren (vor Ort härtendes Schlauchlining) für Abwasserkanäle“, 2012-11 

[5] Doll, H.: „Der Schlauchliner als statisch tragendes Element im Altrohr“, bi-Umwelt, Sonderausgabe 03/2014 

[6] Beckmann, D.; Kohler, J.: „Altrohrzustand III und Grundwasser: Nachweiskonzept für Liner in nicht dauerhaft standsicheren Kanälen“, 3R, 11-12/2013