Inhaltsverzeichnis
1. Regelwerk
2. Statische Berechnung nach ATV-DVWK-A 127
3. Statische Berechnung nach FEM
4. Ergebnisse
Autoren: Dipl.-Ing. Vladimir Lacmanović, Dipl.-Ing. Frederik Müller
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Standsicherheit von erdverlegten Kabelschutzrohren im Bündel
Elektrokabel, Glasfaserleitungen und andere empfindliche Bauteile der modernen Infrastruktur werden häufig in Schutzrohren im Boden verlegt. Die Schutzrolle übernehmen meist Kunststoffrohre aus Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder Polyvinylchlorid (PVC). Die für die Wirtschaftlichkeit und Standsicherheit dieser Rohre notwendige, optimale Wandstärke kann durch statische Berechnungen ermittelt werden. Eine Besonderheit dabei ist die Bemessung mehrerer Rohre als Paket oder Kabelbündel.
1. Regelwerk
Bei den im Bauwesen üblichen Regelwerke der europäischen Normung (EuroCodes, EC) und des Deutschen Instituts für Normung (DIN) fehlen genauere Angaben für erdverlegte Rohre. In Deutschland engagieren sich für dieses Fachgebiet Verbände wie
- Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., kurz: DWA, ehemals: ATV-DVWK
- Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V., kurz: DVGW
- Die German Society for Trenchless Technology e.V., kurz: GSTT
sowie Zusammenschlüsse, die sich mit der Qualitätssicherung, Umsetzung und Fortbildung befassen. Einige der genannten Ver eine publizieren Arbeits- und Merkblätter, Informationen und Empfehlungen, die für die Fachwelt quasi normativen Charakter haben. Das Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 bietet ein Konzept für die Bemessung von erdverlegten Rohren an. Dabei geht das Regelwerk von der Verlegung eines einzelnen Rohrs in einem Graben oder einer Dammschüttung aus. Als statisches System ist neben dem Rohr der umgebende Boden zu betrachten: Es entsteht das Bo den-Rohr-System.
Ein relevantes Element ist die Systemsteifigkeit dieses Boden- Rohr-Systems, die sich aus Geometrie und Materialeigenschaften des Rohrs sowie Bodenparametern zusammensetzt. Von dieser Systemsteifigkeit abhängig werden Boden-Rohr-Systeme als „biegeweich“ oder „biegesteif“ eingestuft. Die oben genannten, für Kabelschutzrohre geläufigen Werkstoffe ertragen Verformungen, die deutlich über den Grenzen des üblichen Hochbaus liegen. Das ATV-DVWK-A 127 erlaubt beispielsweise für Abwasserkanäle 6 % des Rohrdurchmessers.
Einwirkungen wie Erdlast oder Straßenverkehr verformen das Rohr. Dabei aktiviert das Rohr den umgebenden Boden im seitlichen Be reich seines Kämpfers (3-Uhr- und 9-Uhr-Position) und erzeugt eine Stützung. Bei flexiblen Kunststoffrohren trägt der umgebende Boden einen bedeutenden Teil der Belastung. Der Einflussbereich des durch ein Rohr gestörten Bodens beträgt nach Regelwerk (1) vier Rohraußendurchmesser, wie Bild 1 zeigt.
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Das ATV-DVWK-A 127 setzt also voraus, dass ein Nachbarrohr erst ab einen Abstand von 2 x 1,5 = 3 Rohraußendurchmessern eingebaut werden darf. Bei Kabelschutzrohren im Bündel sind die Ab stände in horizontaler Richtung in der Regel deutlich geringer. Außerdem werden Leitungen in mehreren Lagen vertikal übereinander verlegt. Eine statische Berechnung nach ATV-DVWK-A 127 ist für die beschriebene Problemstellung lediglich als erste Einschätzung gerechtfertigt, und auch gängige Rohrstatik-Programme erlauben bestenfalls eine Annäherung.
2. Statische Berechnung nach ATV-DVWK-A 127
Eine Abschätzung des einzelnen Rohrs ermöglicht das Rechenmodul A127 der Rohrstatik-Software IngSoft EasyPipe. Das Programm bildet die Gleichungen des in sich geschlossenen Regelwerks ab; Interpretation der Ergebnisse siehe unten.
3. Statische Berechnung mit FEM
Zur Erstellung einer Kontinuumsstatik wird der Elastizitätsmodul benötigt. Nach ATV-DVWK-A 127 ist dies der Verformungsmodul EV oder E-Modul, Youngscher Modul des Bodens. Der Steifemodul ES aus einem Bodengutachten ist umzurechnen unter Verwendung der Querdehnzahl (Poisson-Zahl) des Bodens. Als ein Lösungsvorschlag bietet sich die Anwendung der Methode der finiten Elemente (FEM) an. Auf diese Weise kann das gesamte Rohrpaket mit dem umgebenden Boden als Kontinuumsmodell dargestellt werden. Unter Ansatz der Symmetrie, falls vorhanden, genügt es, eine Hälfte es Kabelbündels abzubilden.
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Der Boden mit seinen Verformungsmoduln Ei wird für die Rohrstatik in vier Zonen unterteilt, siehe Bild 2. Der Boden über dem Rohr ist die Überschüttung (E1). Die Rohrleitungszone (E2) stellt den angrenzenden Boden an die Rohrleitung dar – die Einbettung. Der Boden seitlich des Rohrs außerhalb der Einbettung ist der anstehende, gewachsene Boden oder Mutterboden (E3). Unter dem Rohr wird der Boden oft als steif angesetzt, da man von einer Konsolidation ausgeht (E4).
Das nachfolgende Projektbeispiel soll den beschriebenen Sachverhalt aufzeigen. Es werden acht Rohre nebeneinander in fünf Reihen übereinander verlegt. Die Rohre haben einen Außendurchmesser von 160 mm und eine Wandstärke von 7,7 mm. Der horizontale und vertikale Abstand zwischen den Rohren beträgt 60 mm. Die Grabenbreite wird in Anlehnung an DIN EN 1610 gewählt. Für das Projekt kommen PVC-Rohre im Einsatz. Mechanische Eigenschaften sind dem Regelwerk (1) zu entnehmen, siehe Tabelle 1.
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Die ursprünglich vorgegebenen Bodeneigenschaften wurden in Abhängigkeit von Einbau- und Überschüttungsbedingungen unter Bezugnahme auf Tabelle 8 des Arbeitsblatts ATV-DVWK-A 127 (1) angepasst. Für die Bauausführung sei erwähnt, dass dem Einbau und der Verdichtung des Erdreichs zwischen Rohren im Bündel besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden muss. Mögliche Ausführungen beinhalten den Einsatz zeitweise fließfähiger, selbstverdichtender Verfüllbaustoffe (ZFSV, Flüssigboden) oder Betonummantelungen. Die statischen Berechnungen erfolgen auf Grundlage des Regelwerks unter Anwendung der FE-Methode, um die Verlegung im Bündel berücksichtigen zu können, siehe Bild 3. Das Modell ist symmetrisch in Bezug auf die vertikale Ebene zwischen der vierten und fünften Spalte, so dass es genügt, eine Hälfte des Systems zu betrachten. An der Schnittkante wird die Symmetrie durch entsprechende Auflagerbedingungen hergestellt.
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Die Grundlage für die durchgeführten Berechnungen bilden räumliche FE-Modelle. Für die statische Berechnung der Erd- und Verkehrslasten (SLW 60) sind die Rohre mit Hilfe von vierknotigen Schalenelementen diskretisiert. Rohrleitungszone, Überdeckung, anstehender Boden und der Boden unter dem Rohr sind mit Hilfe von achtknotigen Volumenelementen diskretisiert. Die Kontaktfläche zwischen Rohr und Boden ist durch einen nichtlinearen 3D Kontakt (Fläche auf Fläche) simuliert. Es werden allein Druckkräfte, jedoch keine Zug- oder Scherkräfte übertragen. Die Eigengewichtslasten werden durch Erdbeschleunigung und Zuweisung der materialspezifischen Wichte zu den entsprechenden Elementen erfasst.
Die Verkehrslast ist durch die Anordnung einer Flächenlast auf die Modelloberfläche berücksichtigt. Linear-elastisches Verhalten des Materials ist angenommen (Hookesche Gesetz gilt). Da es sich um ein Stabilitätsproblem handelt, erfolgen geometrisch nichtlineare Berechnungen. Für die Nachweisführung werden die Langzeitkennwerte des Rohrwerkstoffs zugrunde gelegt.
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4. Ergebnisse
Das Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 basiert auf einem globalen Sicherheitskonzept. Für PVC-Rohre beträgt die erforderliche Sicherheit gegen Spannungs- und Stabilitätsversagen γ = 2,5. Zur Beurteilung der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit einer Rohrleitung sind deren Spannungen, Verformungen und Stabilität zu untersuchen. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass die Gleichungen des Arbeitsblatts A 127 für ein einzelnes Rohr mit symmetrischem Einbau gelten – wohingegen der Ansatz der FEM die reale Asymmetrie des Rohrbündels berücksichtigt. Bild 4 zeigt, dass sich die Rohre unterschiedlich verformen und unterschiedliche Spannungsverläufe aufweisen.
Die Rechenergebnisse im Detail sind:
1. Spannungen: Die mit den empirischen Formeln des ATV-DVWK-A 127 ermittelten Spannungen sind höher als die der FE-Berechnung und liefern daher eine kleinere Sicherheit.
2. Verformungen: Die nach ATV-DVWK-A 127 errechneten Verformungen sind ebenfalls höher als die der FE Berechnung und liefern daher eine kleinere Sicherheit.
3. Stabilität: Die Sicherheit gegenüber Stabilitätsversagen nach A 127 ist höher als per FEM errechnet. Daraus resultiert eine vermeintlich höhere Sicherheit.
Das Stabilitätsversagen wird maßgebend. Allerdings geht das Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 von einem symmetrisch gebetteten Rohr aus. Dagegen sorgt die Verlegung als Kabelbündel für ungleichmäßige Einbettung.
5. Zusammenfassung
Das Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 ist für die statische Berechnung einzelner Rohre geeignet. Eine Anwendung auf mehrere Leitungen, Kabelbündel oder Rohrpakete wird nicht empfohlen: Obiges Beispiel zeigt, dass der maßgebende Stabilitätsnachweis die Standsicherheit des Systems überschätzt. Die FE-Berechnung ist realitätsnäher, da sie die Systemsteifigkeit des Boden-Rohr-Systems genauer erfasst und die Asymmetrie des Kabelbündels berücksichtigt.
Literaturverzeichnis
(1) ATV-DVWK-Arbeitsblatt A 127: Statische Berechnung von Abwasserkanälen und leitungen (2000-08)
(2) IngSoft EasyPipe Version 2.8.5.6
(3) NX Nastran – User Manual
(4) Femap – User Manual